26.07.2012 – Stolpersteinverlegung in Görlitz

Am vergangenen Donnerstag wurden in Görlitz wieder Stolpersteine verlegt. Es kamen unerwartet viele Personen, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Ca. 60 Personen begleiteten die durchweg sehr würdevolle Verlegung. Ein aus unserer Sicht unbedingt begrüßenswerter weiterer Schritt hin zu einer würdevollen lokalen Erinnerungskultur für die durch die Nationalsozialisten ausgelöschte Görlitzer Jüdischen Gemeinde.

Das schreibt die Sächsische Zeitung:

Freitag, 27. Juli 2012
(Sächsische Zeitung)

Fünf Steine und viele Tränen
Von Daniela Pfeiffer

Es ist niemand da, der Werner Oppenheimer gekannt hat. Oder der mit ihm verwandt ist. Der Görlitzer war erst Anfang 20 als er 1942 deportiert wurde und vermutlich in einem Vernichtungslager der Nazis starb. Es gibt keinen Nachkommen der jüdischen Familie Oppenheimer, die in der Jakobstraße3 gewohnt hat. Und doch fließen schon bei der ersten Station der gestrigen Stolperstein-Verlegung Tränen. Tränen um Werner Oppenheimer. Auf seinem Stein, der unter denen seiner Eltern Charlotte und Erich eingepflastert wird, liegen am Ende Rosen.

Emotionen auch bei der nächsten Station: Auf der Bismarckstraße 16 bekommen Dr. Fritz Warschawski und seine Frau Käthe Warschawski einen Stolperstein. Ihr Enkel Michael Guggenheimer ist da – zusammen mit seinem Sohn aus der Schweiz angereist. „Ich will nicht so viel über meine Großeltern reden, darüber ist viel geschrieben worden“, sagt Michael Guggenheimer. Nein, stattdessen richtet er seine Worte an alle, die dafür sorgen und gesorgt haben, dass es in Görlitz Stolpersteine gibt. Er dankt dem neuen Oberbürgermeister Siegfried Deinege ausdrücklich, dass er da ist. Für Guggenheimer ist das ein Zeichen, dass in Görlitz eine neue Zeit begonnen hat. „Der frühere OB hat sich dagegen verwahrt, dass in Görlitz Stolpersteine zum Gedenken an jüdische Menschen gesetzt werden.“

Dass es dennoch gelungen ist, sei vor allem dem Engagement von Bernd Bloß von der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu verdanken, dem Initiator der Görlitzer Stolpersteine. Er hat auch das gestrige Verlegen der Steine Nummer elf bis fünfzehn in Gang gesetzt. Dem Schlesischen Museum und dem Förderkreis Synagoge für ihr Engagement zu danken, war Michael Guggenheimer gestern ebenfalls eine Herzensangelegenheit. „Wer weiß, vielleicht wird es hier eines Tages wieder jüdisches Leben geben.“ Das Interesse an der gestrigen Verlegung jedenfalls war riesig. „Wir hatten nie so viele Leute wie diesmal“, freute sich Bernd Bloß.

Gleich elf Verwandte waren gekommen, um der Steinlegung für Carl und Hans Jacobsohn beizuwohnen. Alle sind zum ersten Mal in Görlitz. Aus Brasilien, den USA und Israel kamen die Nichten und Neffen, Enkel – und die einzige Tochter von Hans Jacobsohn: Liselotte Renate Barochel. Sie sei Görlitz unendlich dankbar, dass sie dabei sein dürfe, sagte sie in einer kleinen Ansprache. Denn ihre Anreise aus Rio de Janeiro war nur dank einer Spendenaktion möglich. Nicht nur, dass sie vielen ihrer Verwandten zum ersten Mal begegnete, machte den gestrigen Tag so besonders. „Wir haben nie einen Platz gehabt, wo wir Vater und Großvater gedenken konnten“, sagte sie unter Tränen. Jetzt gebe es ihn hier in der Bismarckstraße16. „So etwas erlebt man nur einmal im Leben.“ Auch ihre Tochter Deborah, die in München lebt, ist gerührt. „Heute hier vor dieser Tür zu stehen ist etwas so besonderes.“

Danach kommen zwei weitere Damen Arm in Arm nach vorn, um zu sprechen. Es sind die Schwestern Doris Hampton und Susan Jacobsohn Avis aus den USA – Enkelinnen von Carl und Nichten von Hans Jacobsohn. Und sie verlesen eine Email von Walter Jacobsohn, dem Sohn von Carl und Bruder von Hans. Er entkam dem Holocaust lebt hochbetagt in Israel. „Er bedauert sehr, heute nicht dabei sein zu können“, sagt Susan Jacobsohn Avis. „Er schreibt, dass dieses Haus hier früher voll Leben war, glückliches Leben. Die Steine sind ein gutes Denkmal.“

Ein weiterer Verwandter aus Israel, Chemi Porat, dankt vor allem dem Kölner Künstler Gunter Demnig, der die Stolpersteine erfunden hat und bis heute jeden persönlich verlegt. In zwölf Jahren 36000Steine in ganz Europa. Unmöglich, da noch jedes einzelne Schicksal zu kennen, das hinter ihnen steht. „Deshalb finde ich es gut, wenn die Reden gehalten werden, während ich die Steine einbringe, dann kann ich mithören“, sagt Demnig, der gestern noch Steine in Wittichenau und Leipzig verlegte.

Für Görlitz wird es wohl vorerst bei 15Stolpersteinen bleiben. „Wir könnten theoretisch noch 55 einbringen“, sagte Bernd Bloß. Doch bei einem Teil würden die Nachkommen dies ablehnen, ein weiterer Teil wäre auf polnischem Gebiet und dies sei aufgrund der rechtlichen Grundlagen kompliziert. Ein paar weitere wären noch machbar. Aber für jeden einzelnen Stein müsse er mit der Stadt einen Vertrag abschließen – Bernd Bloß ist persönlich für sie verantwortlich, haftet auch für sie, sollte einmal etwas passieren. Von Essen aus, wo er seit einiger Zeit lebt, ist das schwierig geworden.